Adriane, Mitte 30, die seit mehreren Jahren als Mediatorin und Group Compliance Officer in einem Unternehmen arbeitet, kam zu mir, weil sie Angst hatte, bald im Burnout zu enden.
Sie setzte sich hin und bat mich erst einmal ihre Tochter anrufen zu dürfen, denn sie machte sich Sorgen, ob sie im Kühlschrank ihr schon vorbereitetes Essen vorfinden würde ... Als die Tochter sagte, dass alles ok wäre, war sie beruhigt und wir widmeten uns unser Gespräch…
Sie erzählte mir, dass sie Probleme hatte, zu viel Verantwortung zu übernehmen. Sie nahm Verantwortung für Dinge, die eigentlich gar nicht ihr Aufgabenbereich waren, weil sie dachte, dass es sonst nicht läuft. Sie wollte ein Vorbild sein und hatte ein schlechtes Gewissen, wenn sie sah, dass etwas getan werden müsste und es keiner machte. Dann machte sie es, sagt sie.
Sie konnte schlecht Grenzen für sich selbst setzen und übernahm freiwillig die Verantwortung für den gesamten Projekterfolg und nicht nur für einen Teil des Projektes. Dann merkte sie, wie ihre Energie immer mehr schwand und sie immer frustrierter wurde.
Auch ihre Leistung litt bereits darunter und die Qualität ihrer Arbeit lies nach. Das hatte zwar noch keiner gemerkt, aber sie merkte es selber, erzählte sie mir. Sie weiß genau, dass, wenn sie nicht bald etwas dagegen unternehmen würde, würde sie immer mehr in schlechte Gedanken und Depressionen rutschen bis ihre Überverantwortung und Ihr Tatendrang sie in ein tiefes Loch und Burnout stürzen werden.
Und die Folge davon wäre, dass sie für Wochen oder sogar Monate ausfallen würde. Dies würde der Firma enorme Verluste und Schaden zufügen. Im Coaching suchte ich mit ihr nach möglichen Ursachen ihrer Überverantwortung. Dabei stellte sie fest, dass sie so erzogen worden war, dass man im Job alles geben müsste, denn ansonsten wäre man ja ein Schmarozer und würde die Gesellschaft ausnutzen. Es waren diese hemmenden Glaubenssätze aus der Kultur gewesen, die ihre Angst, den Job zu verlieren oder die Angst, dass sie für Schäden haften müsse, schürten. Immer wieder kreisten ihre Gedanken darum, dass es doch ordentlich laufen müsste.
Des Weiteren untersuchten wir gemeinsam die Situationen, in denen sie zu viel Verantwortung übernahm und in welchen Situationen sie keine Überverantwortung zeigte. Die Situationen mit Überverantwortung kamen immer dann vor, wenn es um zeitkritische Projekte ging, Projekte, die wesentlich für das Überleben der Firma waren. Sie fühlte dabei immer Frust und Druck. Sie war angespannt und überfordert. Gefühle der Ohnmacht und Wut vermischten sich. Vor allem war sie dann wütend auf ihre Kollegen, weil sie das Gefühl hatte, dass ihre Kollegen nicht kompetent genug waren und keine Verantwortung für die Firma übernehmen würden. Sie seien so faul und langsam und sie fragte sich ständig, warum es hier nicht voranging. Was daran so schwer wäre, ein Projekt geordnet durchzuführen, verstand sie nicht. Immer ginge es hin und her, berichtete sie. Und keiner wollte die Verantwortung für den Projekterfolg übernehmen.
Die Situationen, in denen sie keine Überverantwortung an den Tag legte, waren Situationen, in denen sie administrativen Aufgaben und Routineaufgaben übernahm; Aufgaben oder Themen, die gar nicht ihre waren z.B. bei Sekretariatsaufgaben. In diesen Situationen fühlte sie Leichtigkeit, Ruhe und Entspannung. Wir untersuchten, ob es auch Situationen gab, in denen sie eine gesunde Verantwortung übernahm, die sowohl ihr als auch ihren Kollegen guttaten. Das waren Situationen, in denen es um die Änderungen der Gesetze ging, die in einer Haftung der Führungskraft resultieren könnten. Hierin informierte sie auch immer die Verantwortlichen der anderen Fachbereiche und wies sie darauf hin, dass sie die Maßnahmen selbst umsetzten sollten. Sie informierte sich stets über aktuelle Themen aus ihrem Verantwortungsbereich, um auf dem Laufenden zu bleiben und Risiken frühzeitig zu erkennen. Das alles waren Themen, die ihr Interesse weckten, die ihr Spaß machten und worauf sie sich konzentrierte und fokussierte. Sie war stets gespannt, was es Neues gab und wie sich das Recht entwickeln würde. So erkannte sie den Unterschied zwischen einer gesunden und einer ungesunden Verantwortungsübernahme in Bezug auf sich selbst. Sie erkannte, wann bei ihr die Grenze zur übermäßigen Verantwortungsübernahme erreicht war und wollte sich mehr auf die Aufgaben konzentrieren, bei denen sie eine gesunde Verantwortung übernahm. Diese nannte sie Aufgaben mit Vorbildfunktion, denn dort könnte sie eine bessere Qualität erreichen.
Danach schauten wir uns noch ihre Glaubenssätze an und die Motivation, die sie zur Überverantwortung führte. Mit beidem setzten wir uns kritisch auseinander und hinterfragten ihre Gedanken diesbezüglich. Sie erkannte, wie unrealistisch ihre Gedanken waren und dass ihre Stelle auf keinen Fall gefährdet war. Das verschaffte ihr Erleichterung und Frieden im Herzen.
Heute kann sie sich gut abgrenzen, hat kein schlechtes Gewissen und kann Aufgaben ihren Kollegen belassen, die in ihren Verantwortungsbereich gehören. Sie hat es gelernt, ihr Verantwortungsbewusstsein besser zu steuern und es zielgerichtet und in einem gesunden Maße einzusetzen.